Die Leichenkutsche auf dem Bieberer Friedhof

Zum Tag des offenen Denkmals hatte Dr. Jutta Failing auf den Bieberer Friedhof geladen. Im kleinen Gebäude steht noch eine originale Leichenkutsche. Es ist die einzige im Kreis Gießen; und sie hatte ihre letzte Fahrt 1971.

Auch die Tochter des ehemaligen Kutschers, Frau Riedel geb. Moos war anwesend. Ihre Aufgabe als Kind war es, die Stute Sonja festzuhalten, während der Vater anspannte und die Trauerschabracke auflegte. Dabei hatte sie eigentlich Angst vor Pferden. Und Jutta Failing fand das Pferd mit der Schabracke immer gruselig, wenn es durchs Dorf zog.

So muss man sich das Pferd mit Schabracke vorstellen.

Frau Riedel geb. Moos, Tochter des letzten Kutschenfahrers in Bieber
Dr. Jutta Failing mit einem Trauermäntelchen, das über den Kopf gehängt wurde, so dass das Gesicht verdeckt war.

Noch jemand hatte schon als Achtjährige mit Beerdigungen zu tun, nämlich Frau Kerstin aus Bieber, die ebenfalls anwesend war. Sie läutete die Glocken, wenn die Mutter, die Küsterin, beruflich verhindert war. Das Glockengeläut zu einer Beerdigung ist heute fast verstummt. Viele Hinterbliebene wünschen es nicht mehr. Und die Trauerkutsche wurde schon lange vom großräumigen Automobil abgelöst. Anfangs in schwarz, inzwischen auch in anderen Farben. Der Leichenwagen des Rodheimer Bestattungsinstitutes Samer & Wollnich ist auberginefarben.

Bevor es eine Leichenhalle gab, wurden die Toten zu Hause abgeholt, wo sie zum Teil bis zu drei Tagen lagen. Die Fenster wurden mit in Essig getränkten Tüchern verhängt. Das sollte gegen den Geruch und gegen die Fliegen helfen. Die engsten Hinterbliebenen mussten eine bestimmte Zeit tief schwarz tragen, die Witwen manchmal mehrere Jahre. Die Witwe trug ein Trauermäntelchen. Das abgebildete ist fein plissiert ähnlich wie die Trachtenröcke. Dabei wurde der Stoff in schmale Falten gelegt und auf der Rückseite vernäht. Die Herstellung war langwierig. Diese Stücke wurden vererbt. Der Trauermantel stammt aus der höfischen Kultur.
Eine der ältesten Leichenhallen überhaupt gab es bis zur Zerstörung im 2. Weltkrieg auf dem Gießener Alten Friedhof mit einem Portal im Stil griechischer Tempel. In der Biedermeierzeit waren die Leichenhallen sogar geheizt. Die Toten sollten schneller verwesen – oder „wiederauferstehen“. Man hatte nämlich große Angst vor Scheintoten (In dieser Zeit wurde übrigens Mary Shelleys Roman Frankenstein veröffentlicht). Die erste Leichenhalle auf dem Bieberer Friedhof von 1957 hatte zwar keine Heizung, doch eine Kühlung erhielt erst die neue Halle, die etwa um 1990 errichtet wurde.

Einen Friedhof gibt es in Bieber überhaupt erst seit 1921 (obwohl man ihn seit 1867 wünschte). Er wurde damals gemeinsam mit dem Denkmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges eingeweiht. Frau Kerstin erzählte, dass man auf diesem Friedhof gar nicht so viele Knochen von früheren Bestattungen findet. Die Straße neben dem Friedhof heißt „Am Tagebau“. Die Knochen rutschten ab in die darunterliegenden Stollen. Leider nicht nur die Knochen. Die Flüssigkeiten, die bei der Zersetzung entstehen, flossen den Hang hinunter und kamen bei den unteren Gräbern wieder an die Oberfläche. Aus diesem Grund sind an dieser Stelle nur noch Urnengräber gestattet. In Rodheim rund um die Kirche und um die Luther-Linde sind dagegen soviele Knochen zu finden, dass man auf tausende von Beisetzungen über die Jahrhunderte schätzt.


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